Eukar - das Land der Pyramiden

Ich verrate jetzt mal etwas, was hoffentlich niemanden erschüttern wird: Ich hatte am Anfang von Band 1 noch überhaupt keine Ahnung, wohin mich die Geschichte in Band 6 einmal führen wird. Aber ich habe von Anfang an in die Karte von Norlan Länder eingebaut, die in den ersten Bänden keinerlei Beschreibung erfahren. Man fand Mundis, Korn, Ikila und Eukar in der Karte, ohne diese Länder näher kennenzulernen. Das gab mir die Gelegenheit, erst später diese Reiche mit Leben zu füllen. Korn und Ikila spielten dann in Band 3, Die Straßen von Korn, eine Rolle, und Mundis in Band 4, Der Schlüsselmeister des Prinzipals. Irgendwie mag ich diese Länder besonders, weil sie weniger beliebig sind als all die italienisch und skandinavisch anmutenden Reiche aus den ersten beiden Bänden. Und für Eukar kam mir die zündende Idee während einer Südamerika-Reise - genauer gesagt im Museum für Altamerikanische Kultur in Santiago de Chile im Februar 2008. Warum nicht eine den Maya und Azteken ähnliche Kultur auch in Norlan ansiedeln? Und damit ein Reich erfinden, das in einem vollkommenen Gegensatz zu den anderen Ländern Norlans steht, in denen ja eine dem Christentum ähnliche Religion vorherrschend ist. Dieses Eukar sollte aber keine Kopie eines Aztekenreichs werden, sondern etwas ganz Eigenes, in dem man nur hier und da durchscheinen sieht, was man von den Azteken und Maya zu wissen glaubt.

Lässt sich das denn noch so einfach einbauen? In Band 1 und 2 wird Eukar an genau zwei Stellen erwähnt. Dummerweise habe ich dort einmal von einem Fürstentum Eukar geschrieben, und jetzt schwebte mir ein Priesterstaat vor. Ich wollte noch irgendeine halbgare Erklärung für diesen Widerspruch einbringen, habe dann aber darauf verzichtet. Vielleicht wird einer der Hohepriester auch Fürst genannt, aber wenn das so ist, erfährt man es nicht. In den Bänden 3 und 4 gibt es schon mehrere Hinweise auf Eukar, vor allem deshalb, weil das Land vor der Drucklegung in meinem Kopf klare Gestalt angenommen hatte.

Mit den Azteken verbindet mancher vor allem gruselige Geschichten über Menschen, denen bei lebendigem Leibe das Herz aus dem Körper gerissen wird, und ähnliche Schlachtrituale. Heute haben Historiker Zweifel, ob das wirklich so stattgefunden hat - es war wohl im Interesse der Missionare, die heidnischen Kulte als besonders abstoßend darzustellen. Dementsprechend ist mein Eukar kein blutig-brutaler Unmenschenstaat. Es ist eine vollkommen fremde Kultur, die den Menschen der anderen Länder Angst macht und über die auch ebensolche Gerüchte wie oben beschrieben kursieren. Doch die Eukarianer sind nicht wie erwartet: Sie sind Vegetarier, haben einen ungezwungenen Umgang mit der Sexualität und töten Tiere nur, um ihre Götter zu ehren. Und deren gibt es zwei: Ekhi, den Sonnengott, und Ilar, die Mondgöttin.

Sonnen- und Mondpyramide in Teotihuacán

Reale Vorbilder: Die Sonnenpyramide von Teotihuacán (Hintergrund) und einige kleine Pyramiden, fotografiert von der Spitze der Mondpyramide.
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Vielleicht fällt jemandem auf, dass die Wörter Ekhi und Ilar nicht sehr aztekisch klingen. Ekhi ist die baskische Sonnengöttin und Ilargi die baskische Mondgöttin. (Bei Ekhi habe ich kurzerhand das Geschlecht getauscht.) Warum Basken? Das war nur so eine fixe Idee von mir, weil im Namen Eukar eine gewisse Ähnlichkeit zu Euskadi, dem einheimischen Namen für das Baskenland, steckt. Ganz Eukar habe ich daher mit baskischen Namen gefüllt. Mancher wird in Aitxuri einen Berg im Baskenland erkennen, in Basajaun den Namen des baskischen Waldgottes, und im Tränentempel von Malkoak steckt auch das baskische Wort für Träne. Die Landschaft dagegen dürfte weder an Mexiko noch an das Baskenland, sondern eher an kanadische Wälder erinnern. Wie gesagt, es ist etwas Eigenes.

Um beide Götter haben sich Priesterschaften gebildet: die traditionalistischen Ekhi-Priester, die alle männlich sind wie ihr Gott, und die aufgeschlossenen Ilar-Priesterinnen, die zwar auch noch sehr dickköpfig sind wie das bei religiösen Menschen ja oft der Fall ist, aber verglichen mit ihren Gegenstücken geradezu weltoffen und tolerant. Beide raufen sich wohl oder übel zusammen, haben aber eigentlich die ganze Zeit Streit über alles Mögliche. Die Hauptstadt der Mondpriesterinnen heißt Basajaun. Hier steht die Rote Pyramide, die namengebend für Band 5 ist. Wer als Ausländer Eukar besucht (was die wenigsten tun), kommt hierher, da er nur bei den Ilar-Priesterinnen auf einigermaßen freundliche Aufnahme hoffen kann. Die Sonnenpriester residieren in Aitxuri, tief im Landesinneren, und wünschen keinen Besuch von Fremden. In meinem Buch gibt es natürlich trotzdem einen Abstecher dorthin. Auch in Aitxuri gibt es eine riesige Pyramide, denn Pyramiden sind über das ganze Land verstreut. Trotzdem heißt Band 5 nur Die Pyramide von Eukar, denn es ist vor allem die eine Pyramide in Basajaun, die im Buch in vielerlei Hinsicht eine große Rolle spielt - welche, wird hier noch nicht verraten.

Was die Kultur von Eukar besonders interessant macht, ist, dass sie sich von der Zivilisation Bodnaks herleitet. Über Bodnak habe ich vor einiger Zeit ein Geschichtskapitel auf dieser Website eingefügt. Nach der Zerstörung ihrer Stadt haben sich die letzten Einwohner von Bodnak demnach in das Land Eukar geflüchtet und hier ihre Kultur weitergeführt. Die Pyramiden, die Götter und all die Eigenheiten sind demnach uralte Traditionen. In der übrigen Welt breitete sich die monotheistische Religion aus, die von ihren Anhängern arroganterweise als Religion des Wahren Gottes bezeichnet wird, aber in Eukar widerstand man allen Bekehrungsversuchen, und einige sehr aufdringliche Missionare bezahlten tatsächlich mit dem Leben. Eukar ist daher eine Begegnung mit der ältesten Geschichte Norlans, über die man hier und da schon etwas in den Bänden 3 und 4 erfahren hat. Es gibt Statuen und Grabstätten der Könige, die von den Eukarianern heute noch verehrt werden. Und da die Kenntnis der alten Geschichte so wichtig für die zentrale Mission der letzten beiden Bände, die Befreiung des Leidenden, ist, liegt es nahe, dass sich diejenigen nach Eukar begeben, die das Rätsel lösen wollen.

So, ich hoffe, dass ich mit diesen Informationsbrocken etwas Neugier auf den Doppelband wecken konnte.